Gewalt gegen Frauen geht alle an! – Hilfsangebote für Betroffene im Landkreis Regensburg

09. September 2020: Pressemitteilung des Landratsamtes Regensburg

Regensburg (RL). Partnerschaftsgewalt, Häusliche Gewalt, Gewalt im sozialen Nahraum – es gibt keine einheitliche Definition von Gewalt in einer engen persönlichen Beziehung. Was die Termini jedoch gemein haben, sind ein Täter und ein Opfer von Gewalt. Sie sind die zentrale Schnittmenge. Darüber hinaus zeigt Gewalt gegen Frauen viele hässliche Gesichter. So unterschiedlich die Formen von Gewalt sind – physisch, psychisch, sexuell, ökonomisch, sozial –, so stark differieren auch die Geschichten der Opfer. Tatsache ist: Jede Frau kann von struktureller Gewalt betroffen sein. Junge Mütter, Frauen mit Behinderung, Akademikerinnen, über 80-Jährige. „Umso wichtiger ist es, ein Hilfssystem zu haben, wo den betroffenen Frauen individuell geholfen wird“, betont Landrätin Tanja Schweiger. Neben der verstetigten finanziellen Förderung des Vereins „Frauen helfen Frauen“, deren Mitarbeiterinnen betroffene Frauen beraten und ein Frauenhaus koordinieren, des Frauen- und Kinderschutzhauses des Sozialdienst katholischer Frauen e.V. (SkF) sowie des Frauennotrufs engagiert sich die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Regensburg, Silvia Siegler, gegen Gewalt und arbeitet mit beim „Regensburger Runden Tisch gegen Häusliche Gewalt“.

Frauenhaus – Warteraum auf ein besseres Leben

Im Frauenhaus zu leben ist keine Wahl, sondern eine Maßnahme, die aus der Not geboren ist. Es ist eine Übergangslösung auf dem Weg hin zu einem selbstbestimmten, gewaltfreien Leben. Ingeborg Heindl und Iris Mitterhuber vom Verein „Frauen helfen Frauen e. V.“ kümmern sich mit Kolleginnen im Team um betroffene Frauen primär aus Stadt und Landkreis Regensburg und umliegenden Landkreisen. In der Gumpelzhaimer Straße 8a in 93049 Regensburg ist die Beratungsstelle Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt. In Beratungsgesprächen wird auf Augenhöhe eruiert, welche Schritte zum Schutz der Frauen (und ihrer Kinder) nötig sind. Häufig bleibt nur die Wahl zwischen Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes1 und Frauenhaus. Das Autonome Frauenhaus des „Frauen helfen Frauen e. V.“ bietet mit einer zusätzlich angemieteten Wohnung Platz für zwölf Frauen und ihre Kinder. Die Wohnung dient  aktuell – zum Schutz der Frauen, Kinder und Mitarbeiterinnen – als Quarantäne-Wohnung. „Wir arbeiten überkonfessionell und parteilich für die Frauen“, betont Iris Mitterhuber. „Wir versuchen, jeder Frau individuell Hilfe anzubieten“, ergänzt Ingeborg Heindl. Entsprechend gleicht das Frauenhaus einem babylonischen Warteraum auf ein besseres Leben. Herkunft – Bildung – Sprache, die Liste der Unterschiede ließe sich problemlos fortführen. Auch die Liste der Verletzungen.

Hilfe von Frau zu Frau

Ingeborg Heindl und Iris Mitterhuber kennen sie, die beschädigten Biografien, die von Gewalt betroffenen Lebensläufe. Sie kennen auch die Meilensteine der Frauenbewegung, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang fand. Beispielsweise das Züchtigungsrecht bei Eheleuten:

Der Mann hatte in der Ehe das Recht, die Ehefrau „nötigenfalls mit Mäßigkeit“ zu züchtigen, um seine Stellung und Rechte durchzusetzen. Dieses wurde seit Erlass des BGB von 1896 von den Gerichten nicht mehr angewendet, aber erst 1928 offiziell aufgehoben.

Es gibt noch weitere Teilerfolge, die auf das Engagement der Frauenbewegung zurückzuführen sind. Und dennoch stirbt in Deutschland jeden dritten bis vierten Tag eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Für die Ermordung einer Frau aufgrund tradierter und normativer Rollenvorstellungen gibt es einen Begriff: Femizid.

„Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, umschreibt Iris Mitterhuber die Situation in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt. Demzufolge kann es auch nur gesamtgesellschaftlich angegangen und gelöst werden. Mitterhuber ist eine der treibenden Kräfte in puncto Vernetzung und Kooperation in Stadt und Landkreis Regensburg, in der Oberpfalz und in Niederbayern. Im Rahmen der 2016 vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales ins Leben gerufenen Initiative „Proaktive Beratung“ arbeiten die Mitarbeiterinnen des Vereins „Frauen helfen Frauen“ mit der Polizei in den Regierungsbezirken Oberpfalz und Niederbayern zusammen. Im Landkreis Regensburg sind die Polizeiinspektionen Neutraubling, Nittendorf, Regenstauf und Wörth a. d. Donau beteiligt. Im Rahmen der Initiative „Proaktive Beratung“ gingen im vergangenen Jahr 61 Faxe an den „Frauen helfen Frauen e. V.“ mit Informationen zu aktuellen Gefährdungslagen und den Kontaktdaten der Frauen, die anschließend durch den Verein begleitet wurden.

„Die Zusammenarbeit mit der Polizei hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt“, resümiert Ingeborg Heindl. Wer allerdings noch fehlt, ist die Justiz. „Die Justiz hat die Macht. Die Justiz müsste mehr Sorge tragen für von Gewalt betroffene Frauen“, fordert Iris Mitterhuber und bezieht sich auf die so genannte Istanbul-Konvention von 2018, eine Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Justiz müsste ihr zufolge die Verpflichtungen, die sich aus der Ratifizierung der Istanbul-Konvention ergeben, umsetzen. Diese Umsetzung wollen Ingeborg Heindl und Iris Mitterhuber vorantreiben und hoffen auf Teilnahme des Straf- und Familiengerichts beim nächsten „Runden Tisch gegen Häusliche Gewalt“.

Und dennoch kann sich eine Gesellschaft nicht darauf verlassen, dass sich andere dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ annehmen. Das Phänomen ist allgegenwärtig, das Phänomen geht alle an!

Hilfsangebote für Betroffene im Landkreis Regensburg

Der Landkreis Regensburg lässt Opfer Häuslicher Gewalt nicht allein. Folgende Hilfsangebote gibt es in der Region:

·       Autonomes Frauenhaus (Frauen helfen Frauen e. V.): 0941 24000

·       Frauen- und Kinderschutzhaus (SkF): 0941 562400

·       Frauennotruf e. V.: 0941 24171 (Beratungsstelle für Frauen und Mädchen mit sexualisierten Gewalterfahrungen)

·       Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer (Polizeipräsidium OPf.): 0941 506-1333

 

Gewaltschutzgesetz1: Häusliche Gewalt ist keine Privatangelegenheit. Es ist Aufgabe aller, die Opfer nicht alleine zu lassen. Mit dem Gewaltschutzgesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, werden die zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Opfer häuslicher Gewalt deutlich gestärkt und Täter stärker zur Verantwortung gezogen. Opfer können gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen beantragen sowie Ansprüche auf Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung bei Gericht geltend machen. (Weitere Informationen: www.stmas.bayern.de/gewaltschutz/)

Istanbul-Konvention 2: Deutschland hat am 12. Oktober 2017 die Beitrittsurkunde zum „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt. Damit wurde der Ratifikationsprozess dieser sogenannten Istanbul-Konvention abgeschlossen. Anfang Februar 2018 ist das rechtlich bindende Menschenrechtsinstrument in Deutschland in Kraft getreten. Damit liegt erstmals für den europäischen Raum ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt an Frauen vor. Für Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, wird sie damit rechtlich verbindlich, und alle staatlichen Organe – darunter Gesetzgeber, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden – müssen die Verpflichtungen aus der Konvention umsetzen. Zum 30. Januar 2019 haben 33 Staaten die Konvention ratifiziert.

(Quelle: www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/frauenrechte/istanbul-konvention/)

 

Bildunterschrift: Landrätin Tanja Schweiger und Gleichstellungsbeauftragte Silvia Siegler setzen sich ein für ein Hilfssystem, in dem von Gewalt betroffenen Frauen individuell geholfen wird. Foto: Petula Hermansky/LRA